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wasi: offener brief: 2005-12-12 Weihnachten kommt!
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Liebe Freunde!
Weihnachten nähert sich! Ein hektisches Treiben erfüllt die ganze Stadt.
Überall Freßbuden, Essensstände, Märkte. Auf den von Duftkaskaden
durchzogenen Straßen wird gekocht, gegrillt, gebrutzelt und natürlich
gegessen und getrunken und geschlemmt und gesoffen. Vielerorts herrscht
ein Kaufen und Handeln als ginge es darum, demnächst die ganze Familie zu
beschenken. Alles hier scheint voller Käufer und Verkäufer zu
sein. Weihnachten?
Ich bin also wieder hier, in Südostasien. Hinterindien nennt sich das
diesmal, oder Indochina. Es ist ein bißchen wie Heimkommen. Ich bin froh,
wieder hier zu sein. Nur Weihnachten fehlt mir überhaupt nicht.
Erstaunlich genug findet man mitten in einer Megacity wie dieser beinahe
schon ländlich anmutende Gegenden (mindestens was die Hühner anbelangt),
von denen sich die Backpacker-Szene gerne eine zueigen macht. In so eine
Insel geflüchtet hab ich's mir in einem nach kurzem schon vertrauten
Häuser- und Pflanzendschungel gemütlich eingerichtet und luge nur
bisweilen noch schläfrig in das gefräßige Monster dieser Stadt der
Engel, wie sie auf thai unter anderem genannt wird, dem vermeintlichen
Lebensraum wiedergeborener großer Geister. Die An- und Einsichten
während der Fahrt vom Flughafen versprachen freilich noch andere Welten
als die hiesige, hühnerdominierte, oder die großer Geister: ein schier
endlos wucherndes Gebäude-, Straßen- und Beton-Geschwür wie man es
irgendwo auf diesem Planeten finden könnte; vielmehr die ziel- und
planlos wiedergeborene Häßlichkeit der bestimmt unheilbaren und
heillosen menschlichen Krankheit namens Zivilisation. - Aber kann man eine
solche Stadt auch als schön empfinden? Nur wenn man weder absolute noch
relative Maßstäbe ansetzt, sondern Schönheit als rein subjektives
Empfinden annimmt - was es ja ist. Also üben wir uns darin, Bangkok
schön zu finden! Zuneigung fassend zum an sich Unfaßbaren überwinden
wir die Barriere der inneren Distanz und schmiegen uns an eine Welt, die
das Gefühl der einsamen Verlorenheit entbehrt und in der das Häßliche
schön ist, aber freilich deswegen nicht gleich richtig. Ist das, was wir
Weihnachten nennen und praktizieren, richtig? Ist es schön? Ist die Kunst
die, selbst im Häßlichen das Schöne zu finden, oder schlichtweg in
allem das Schöne zu finden? Wer sich die banale existentielle Frage "Was mach ich hier eigentlich?" nicht wenigstens zu Beginn einer solchen Reise stellt, den beschäftigte sie vermutlich zuvor daheim bereits (oder nie). Vermutlich ist dies der Grund, warum's mir diesmal nicht so recht gelingen will, in die mir sonst gängige Reiseanfangskrise reinzukommen. Während mir von einem hier ansäßigen Vogel, Gecko, Flughörnchen oder was sonst den Baum über mir bewohnt auf den Kopf geschissen wird (ich gebe zu: es war das Bein, nicht der Kopf), fällt mir auf, daß mein Gedankenproduzierapparat, ohnedies allseits unaufhörlich brabbelnd, durch die winterlich-antiweihnachtliche Hitze offenbar keinesfalls betäubt, vielmehr belustigt angeheitert angeregt zu sein scheint - auch wenn das Ergebnis bestensfalls für eine pseudo-philosophische Comedy-Soap reicht. Und wo führt das alles hin? Nun, zunächst nach Ko Tao, um mein indonesisches Paradiesinselerlebnis aufzufrischen und die dort neu entdeckte Unterwasserwelt wiederzubeleben. Danach zieht das Wasi nach Norden, wo nach dem großen frohen Weihnachtsfeste von goldenen Buddhas beäugt die laotische Grenze naht und die Wasser des mächtigen Mekong meinen weiteren Lauf bestimmen werden.
Man tut gut daran, sich immer wieder mal aus seiner gewohnten Welt
herauszureißen und herauszureisen, aus dem Allzuvertrauten
herauszutreten, sein liebgewonnenes gemütliches oder auch stressiges Sein
ab und an mal durch ein anderes, nicht minder liebes zu vertauschen, eine
neue Sichtweise auf Altes an der alten Sichtweise auf Neues zu messen.
Auch wenn dazu nicht unbedingt eine große Reise notwendig ist. Mitunter
reicht es bereits, ein paar Worte zu verdrehen oder ein paar Gedanken, der
Ratio Absurdes zu gewähren. Nicht nur eine andere Welt ist möglich, auch
ein anderes Ich. Nein, dazu ist wahrlich keine Reise vonnöten, aber viel
Wachheit, und Aufmerksamkeit, und Gegenwärtigkeit, und... ach, ich geh
mir jetzt meinen gebratenen Gemüsereis holen, mit Erdnußsträusel. Und
dann flanier ich noch ein wenig durch den Abend. Vielleicht treff ich ja
den Portugiesen wieder, dessen Frau vor einem Monat starb und der
daraufhin alle Zelte abbrach und nun um die Welt reist. Oder die
Neuseeländerin, die seit fünf Jahren hier lebt und englisch
unterrichtet. Oder den besoffenen Schotten, der mir im Frühjahr einen Job
in Glasgow verschaffen will. Oder die Irin mit den langen roten
Dreadlocks, die kam um ihren Thai-Freunden beim Wiederaufbau von deren
tsunami-zerstörten Tattoo-Shop zu helfen. Oder den alten Iraner aus
Berlin, der mir noch die versteckte Stelle zeigen wollte, von der aus man
den benachbarten Buddha-Tempel so toll von oben sehen kann. Oder die
schwedische Italienerin, die in ein paar Tagen nach Dschibuti fliegt, um
ihren Vater zu besuchen. Oder die Gruppe von Australiern, die herkamen um
ihren kranken Kumpel zu einem Geisterheiler zu begleiten. Oder...
Wenn Ihr also einen Rat hören wollt, liebe Freunde, so sag ich Euch: Sawadi krap, A l b e r t :)
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